Ein Jahr lang unter Beobachtung: Rotmilan und Frauenschuh

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Für kollisionsgefährdete Vogelarten müssen Schutzmaßnahmen ergriffen werden, beispielsweise für den Rotmilan - hier ein Expemplar vor der Kulisse einer Windkraftanlage.

Windkraft: Biologe Helmut Schlumprecht erklärt, worauf es bei Artenschutz-Gutachten ankommt

Bevor ein Windrad in Bayern Strom erzeugt, ist bereits viel Energie in die Planung der erneuerbaren Anlage geflossen. Im Blickpunkt stehen nicht nur wirtschaftliche oder technische Aspekte, sondern auch die möglichen Auswirkungen auf besondere Pflanzen und Tiere. Der Biologe Dr. Helmut Schlumprecht erstellt bereits seit 2005 Gutachten zum Artenschutz für die Genehmigung von Windkraftanlagen.

Wie gehen Sie bei den Untersuchungen für Ihre fachliche Beurteilung vor?

Das ist ein langer, komplizierter, aber klar strukturierter Prozess mit vielen „Wenn-Danns“. Grundlegend sind nicht nur rechtliche Vorgaben von Bund und Land, sondern auch von der EU wie die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie, kurz FFH-Richtlinie. Zunächst unterscheiden wir, ob die geplante Anlage in einer so genannten Windvorrangfläche liegt. Wenn ja, dann ist bereits sichergestellt, dass in diesem Gebiet keine kollisionsgefährdeten Vogelarten vorhanden sind – damit ist schon viel Arbeit erledigt. Falls nicht, fangen wir mit umfangreichen Erhebungen an.

Was gehört zu diesen „umfangreichen Erhebungen“, sind Sie auch vor Ort?

Ja, und das nicht nur einmal. Wir starten im Februar/März eines Jahres mit der Suche nach den Horsten großer Vögel wie beispielsweise Rotmilan oder Wespenbussard, die sich meist in den Baumkronen ab zehn Meter Höhe befinden und ungefähr so groß sind wie ein Autoreifen. Manchmal brauchen wir auch eine Hubarbeitsbühne, die auf 20 bis 30 Meter Höhe über die Baumkronen hinausragt. Ende März/Anfang April folgen weitere Begehungen zur Beobachtung der Vögel beim Anflug. Dafür sind meist vier Kolleginnen und Kollegen parallel unterwegs, um wirklich das gesamte Gelände eines möglichen Windparks überblicken zu können.

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N-ERGIE Windkraftanlage in Illschwang

Welche Vogelarten werden in unserer Region oftmals beobachtet und wie oft sind darunter die erwähnten „kollisionsgefährdeten“?

Das ist sehr unterschiedlich, sehr häufig sind heimische Fledermausarten zu finden und die sind alle geschützt. Auch Rotmilan, Weißstorch, Wanderfalke oder Seeadler gelten laut bayerischem Umweltministerium als kollisionsgefährdet. Hinzu kommen die schützenswerten Pflanzen, über die wir noch gar nicht gesprochen haben.

Bleiben wir noch kurz bei den Vögeln: Welche Schutzmaßnahmen sind nötig, wenn Sie eine gefährdete Art entdeckt haben?

Dann gehen wir tiefer in die Details: Um welche Art handelt es sich genau und wie ist ihr Flugverhalten? Entsprechend können die Anlagen für bestimmte Zeiträume abgeschaltet werden. Dann stehen die Rotorblätter vorübergehend still und die Gefahr ist gebannt – bei relativ geringen wirtschaftlichen Einbußen. Diese Maßnahmen sind eine Folge der betriebsbedingten Auswirkungen von Windkraftanlagen. Daneben gibt es die baubedingten Folgen für Tiere und Pflanzen – damit wären wir wieder beim Thema.

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Eine der vielen geschützten Pflanzen, auf die bei der Planung von Windkraftanlagen streng zu achten ist: der Frauenschuh.

Genau: Wie sorgen Sie vor, dass auch bestimmte Pflanzen nicht gefährdet werden, baubedingt meint wohl während der Bauarbeiten für die Windkraftanlage, also für Anfahrtswege?

Ja, zum einen geht es oft um Wegebau und die Kranstelle, oftmals am Waldrand, wo auch gerne Haselmäuse in Gebüschen leben. Die Untersuchungen für gefährdete Tiere am Boden laufen ab April und erfordern auch vier bis sechs Termine vor Ort. Bei den geschützten Pflanzen wie dem Frauenschuh können wir hier in Bayern auf sehr hilfreiche Datenbanken zurückgreifen. Dadurch wissen wir bis herunter auf Landkreis-Ebene sehr gut Bescheid über die vorkommenden Arten und Artengruppen. Je nachdem und was wir draußen beobachtet haben, kann es dann zu kleineren Umplanungen kommen: dass der Weg leicht versetzt wird oder auch der Standpunkt eines Windrads sich um einige Meter verschiebt.

Sehr häufig geht es bei uns in Region um die Zauneidechse, für die Ausweichflächen zu schaffen sind, beispielsweise kleinflächig vegetationsarme Stellen und Gebüsche in unmittelbarer Umgebung. Ist das nicht möglich, kann ein neuer Verfahrensschritt notwendig sein, der viel Zeit in Anspruch nimmt. Es gilt das Prinzip der vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen: Es muss erst für den Ausgleich gesorgt sein, dann kann die Anlage gebaut werden.

Das klingt alles sehr aufwendig und zeitintensiv. Wie lange dauert es, bis Sie ein Gutachten für Windkraftanlagen-Projektierer erstellt haben?

Im Idealfall kommen wir mit einem guten Jahr hin, dann muss der Auftrag aber auch so früh reinkommen, also spätestens im November eines Jahres, dass wir mit einigen Vorarbeiten im Februar/März die Erkundungen starten und im September/Oktober abschließen können. Dann gilt es noch die Ergebnisse zu beurteilen und den Bericht zu schreiben. So ideal läuft es natürlich nicht immer ab. Außerdem ist es zunehmend schwierig, genügend Fachpersonal zur Verfügung zu haben. Die Beobachter müssen viel Wissen und Erfahrung mitbringen, um beispielsweise Vögel im Flug erkennen zu können.

Weitere Infos zu zum Ausbau der N-ERGIE von Windkraft lesen Sie hier in den Interviews mit Carsten Eckardt, Leiter Regenerative Erzeugung bei der N-ERGIE, und Projektleiter Dominic Pfeufer.

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