Der Osing – eine europaweit einzigartige Landverlosung

© N-ERGIE, Andrea Rudolph

Engagement aus Heimatverbundenheit: Carina Thal leitet seit 2021 den 1998 gegründeten Verein zur Osingdokumentation und freut sich auf viele Gäste beim Festwochenende zur Verlosung 2024 von 20. bis 22. September.

Alle zehn Jahre und wieder am 20. September – seit 2016 immaterielles Kulturerbe

Was macht Heimat aus? Die Menschen, die sie bewohnen, ihre Landschaft und Geschichten aus der Vergangenheit, die in die Zukunft wirken. Eine besondere Tradition und seit 2016 auch offiziell „immaterielles Kulturerbe“ ist die jahrhundertealte Verlosung der Flächen, die zur Freimarkung Osing im Landkreis Neustadt a. d. Aisch/Bad Windsheim gehören – immer in den Jahren mit der „4“ am Ende. Am 20. September 2024 ist es wieder so weit.

Eine besondere Rolle bei den Vorbereitungen spielt Carina Thal, die Vorsitzende des Vereins zur Osingdokumentation. Die 33-Jährige ist in einem der vier Osingorte, Krautostheim, aufgewachsen und übernahm von 2012 bis 2015 die Rolle der „Kaiserin Kunigunde“.

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Carina Thal als Kaiserin Kunigunde: Von 2012 bis 2015 gab sie dem Osing weit über die Region hinaus ein Gesicht.

Diese repräsentative Aufgabe führte sie an der Seite von fränkischen Weinhoheiten und Politiker*innen zu vielen interessanten Veranstaltungen weit über die Region hinaus. „Das war eine wahnsinnig spannende Zeit“, erinnert sich die heutige Mutter von zwei kleinen Kindern. „Da hatte ich in einem Jahr über 50 offizielle Termine, kam nach Berlin oder Brüssel ins Europaparlament und habe viel Neues kennengelernt. Und schön war, dass sehr viele großes Interesse an unserer europaweit einzigartigen Tradition hatten.“

Was sich anhört, wie die Geschichte aus einem Märchenbuch (siehe Info-Kasten unten) wird bis heute gelebt und ist für viele mit guten Erinnerungen verbunden. „Ich habe auch in meiner Schulzeit die Lose ziehen dürfen, das war 2004“, erinnert sich Carina Thal. Zehn Jahre später wirkte sie als „Kaiserin“ mit und dieses Jahr als Veranstalterin. „Ohne die vielen Helferinnen und Helfer aus allen Orten wäre das große Verlosungswochenende gar nicht zu stemmen.“

Am Osingsee und dem Gedenkstein vor dem Osinghäuschen zwischen Krautostheim und Humprechtsau findet am 20. September 2024 wieder die Verlosung statt. Das ganze Wochenende lang wird noch groß mit Live-Musik und Mittelaltermarkt gefeiert.
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Am Osingsee und dem Gedenkstein vor dem Osinghäuschen zwischen Krautostheim und Humprechtsau findet am 20. September 2024 wieder die Verlosung statt. Das ganze Wochenende lang wird noch groß mit Live-Musik und Mittelaltermarkt gefeiert.

Als Vorsitzende des Vereins zur Osingdokumentation kümmert sie sich um die Öffentlichkeitsarbeit und um die Planung des jährlichen Osingfests, das am 18. August stattfand und wie immer sehr gut besucht war – dieses Mal als eine Art Probelauf für das große Zehn-Jahres-Spektakel. Wenn sich am Freitag, 20 September, die Bewohner*innen der vier Orte Herbolzheim, Krautostheim Rüdisbronn und Humprechtsau am Osingsee und -haus zur Verlosung treffen, sind sie von vielen Schaulustigen und Vertreter*innen des öffentlichen Lebens umringt.

Viele Gäste erhofft sich das Organisationsteam und die aktuell amtierende Kaiserin Tatjana auch für Samstag und Sonntag: Mit einer bunten Mischung aus Blasmusik, Party-Rock, Mittelaltermarkt, Festgottesdienst, Kutschenfahrten oder der Verkostung von extra gebrautem Osing-Bier soll vor allem auch die jüngere Generation angesprochen werden.

Denn auch der Osingverein hat Nachwuchsprobleme. Carina Thal übernahm den Vereinsvorsitz 2021 nach langen Überlegungen, um eine Auflösung zu verhindern. „Der Osing ist für mich einfach ein Stück Heimat, das mir am Herzen liegt. Das empfindet jeder anders. Aber ist es nicht faszinierend, wie sich der Brauch über all die Jahrhunderte gehalten hat?“

Weitere Infos zum Osing allgemein, dem Museum im früheren Schulhaus von Herbolzheim und dem Festwochenende von 20. bis 22. September 2024 unter www.osingverein.de

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Freimarkung Osing: Das heißt die landwirtschaftlich genutzten Flächen auf der Hochebene zwischen den Dörfern Herbolzheim, Krautostheim Rüdisbronn und Humbrechtsau im Landkreis Neustadt a. d. Aisch/Bad Windsheim befinden sich weder in staatlicher Hand noch in Privatbesitz.

Kaiserin Kunigunde und die Freimarkung Osing

Die Verlosung der Freimarkung Osing mit ihrer insgesamt 274 Hektar großen Fläche – verteilt auf 213 Rechte – geht auf eine der vielen Sagen über die Kaiserin Kunigunde, Gemahlin von Kaiser Heinrich II., um das Jahr 1000 zurück. Demnach hatte sie sich bei der Jagd im Wald nahe dem Schloss Hohenkottenheim verirrt und fand den Heimweg schließlich durch das Abendgeläut der Kirchenglocken in den umliegenden Dörfern. Zum Dank vermachte sie den Bewohner*innen der vier Orte Herbolzheim, Krautostheim Rüdisbronn und Humprechtsau die Äcker und Wiesen auf dem Osing.

Um eine gerechte Verteilung zu gewährleisten, sollten die unterschiedlichen Flächen nach Wunsch der Kaiserin alle zehn Jahre verlost werden. Das Prozedere folgt seit Jahrhunderten der Beschreibung im Osing-Brief von 1587. Fachleute gehen aber davon aus, dass die Entstehung des Brauchs sogar bis ins frühe Mittelalter zurückreicht. Das älteste Schriftstück zum Osing aus dem Jahr 1465 wird im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg aufbewahrt.

Die Osingverwaltung besteht aus jeweils zwei Personen aus jedem Osing-Dorf und einem Obmann. Sie vermessen die Flächen im Spätsommer eines Verlosungsjahres mit den alten Längenmaßen Gert und Schuh. Ebenfalls vorab werden jedem der vier Dörfer und jedem Landstück eines der vier Osingzeichen zugewürfelt: kleines Kreuz, großes Kreuz Pflugschleife und Pferchschlegel.

Am Verlosungstag selbst im September ziehen alle, die ein Osingrecht besitzen, und viele Schaulustige pünktlich ab 8 Uhr gruppenweise durch die Flur. Schulkinder ziehen an jedem Landstück aus einem Stoffsäcken einen Namen. Nur noch an diesem Tag können die insgesamt 141 „Rechtler“ ihre neuen Flächen tauschen. Von dieser einzigen Möglichkeit, die zufällige Landvergabe zu beeinflussen, wird rege Gebrauch gemacht. Einige bewirtschaften die Felder noch selbst, ein großer Teil wird verpachtet.

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Auf dem höchsten Punkt der Freimarkung Osing (396,7 m ü NN) erinnert eine Skulptur der Kaiserin Kunigunde an die Geschichte, wie es zu der Landverlosung gekommen sein soll.

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