Über die Liebe zur Beere

© N-ERGIE, Sabine Freudenberger

Seine „konkret gelebte Lebensgemeinschaft“ mit der Maulbeere begann für Herbert Kolb – mit Einverständnis seiner Gattin – in den 1990er-Jahren. Ob er nicht einen Baum oder ein Gewächs kenne, mit dem sich in Nepal ein Berghang aufforsten und stabilisieren ließe? Von Nutzen sollte die Pflanze möglichst auch noch sein. Die Frage des Entwicklungshelfers und Kollegen der Ansbacher Forstdirektion interessierte Herbert Kolb. Der 67-jährige ehemalige Förster erinnert sich, wie er in der Amtsbibliothek in einem forstwirtschaftlichen Fachbuch auf die Maulbeere stieß. Auf diesen unscheinbaren Baum, der trotzdem ein ganz besonderes Gewächs ist: „Wächst dort wie hier wunderbar, entwickelt meterlange Wurzeln, hat schön gemasertes Holz, das sich gut für Möbel, Parkett, Musikinstrumente und Fässer verwenden lässt“, schwärmt er. „Die Beeren werden in der Früh frisch gepflückt und tagsüber genascht.“ Auch die Blätter sind essbar: „Gerd Meyer ist ein großer Fan davon“, meint Kolb.

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Superfood für den eigenen Garten

„Lang kauen“, empfiehlt Gerd Meyer und mampft an einem Maulbeerblatt. Der Baumschulfachmann und Gärtner legt seit vier Jahren im Westen von Weißenburg auf seinem Baumschulgelände und hinterm selbst gebauten Wohnhaus seinen Garten Eden an. Unter anderem einen Obsthain mit seltenen heimischen Sorten. Aber auch Pfirsichbäume, Feigen, Aprikosen, Pflaumen, Mandeln, Datteln und Maulbeerbäume gedeihen hier. „Die Blätter schmecken roh als Salat. Oder andünsten wie Spinat, mit Pfeffer und Salz würzen“, sagt der 48-Jährige und gönnt sich noch ein Blatt. Aufgebrüht als Tee hilft das Laub bei Blasen- und Harnwegsentzündung und senkt den Blutzuckerspiegel. Deshalb züchtet Meyer auch Blattmaulbeeren mit weichem, wohlschmeckendem Laub. Zig Sorten bekam er aus Norditalien, wo diese Art erforscht und vermehrt wird. „Mir ist ein Chicoree lieber“, meint Herbert Kolb, um trotzdem die Inhaltsstoffe der Maulbeere zu loben: Viel Vitamin C steckt drin und Resveratrol, ein organisches Antioxidativ, das freie Radikale bekämpft. „Futter für Spinner oder Wissende“, findet Meyer und lacht.

Die Maulbeere ist ein Klimabaum, der anpassungsfähig Trockenheit und Hitze gut verträgt. Ihre Beeren dienen Vögeln als Nahrung. Die weiße und die schwarze Maulbeere stammen aus Asien, die rote aus Nordamerika. Mehr als 250 verschiedene Arten und Sorten hegt Gerd Meyer in seiner Baumschule. Wo immer er einen Maulbeerbaum entdeckt, entnimmt er im Herbst Reiser und veredelt sie. Allein in der Maulbeerbaumallee am Rüdesheimer Jachthafen fand er rund 30 Sorten. Auch den tausendjährigen Maulbeerbaum der Benediktinerabtei Brauweiler bei Köln, das älteste Exemplar in Deutschland, hat er durch Reiser vermehrt. „Es ist wichtig, den Genpool zu erhalten“, erklärt Meyer. Maulbeerbäume gebe es auch bei uns überall: „Man muss sie nur suchen!“ Daneben fasziniert ihn die Vielfalt fürs gärtnerische Repertoire: „Maulbeeren wachsen als Sträucher, Büsche oder Bäume, schirmartig, in Kugel- oder Hängeform, mit kleinen oder großen Blättern und Früchten.“ Die reifen ab dem ersten Jahr. Rote und schwarze Maulbeeren sind im Geschmack intensiv und aromatisch, sauer bis süß und saftig. Weiße Maulbeeren von guten Sorten haben vollreif einen feinen Geschmack und sind wahre Honigbeeren.

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Süße Beeren für viele Genüsse

Die Früchte werden von Juni bis September geerntet. Da die Beeren bei Ernte und Transport empfindlich sind, gibt es frische Maulbeeren auf keinem Markt zu kaufen. Getrocknet schmecken sie wie sehr süße Rosinen, als Zutat für Müslis werden sie immer beliebter. Maulbeersaft gibt es ebenfalls im Handel zu kaufen. Den pressen Herbert Kolb und Gerd Meyer aus frischen Früchten selbst, machen daraus Konfitüre und Fruchtaufstriche. Kolb probiert immer gern Maulbeer-Rezepte aus, experimentiert mit Bränden und Likören: „Ich hab sie mit Zibberli, den kleinen Kirschpflaumen, vermischt – wunderbar!“ Zwei, die sich nicht gesucht, aber gefunden haben: Auf die Maulbeere kam Meyer durch Herbert Kolb, der ihm vor etwa zehn Jahren die ersten Sorten in die Baumschule trug. Heute bringen Kunden Zweige aus dem Urlaub mit, die Meyer veredelt und auspflanzt. Sorten aus aller Welt sammeln sich in seinem Obstgarten. Die Sprösslinge verkauft er in verschiedenen Größen als Topfpflanzen.

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Mit den Pflanzen wachsen die Ideen: Als inoffizieller „Maulbeerbotschafter“ will Herbert Kolb den Baum auch bei uns populärer machen. Auf Veranstaltungen informiert er mit einem Infostand, nimmt frische Beeren mit und Bäumchen zum Selberpflanzen. Am einfachsten überzeugt er Menschen über den Gaumen, er lässt sie die unbekannten Beerenfrüchte und Erzeugnisse probieren: „Roter, süßer Maulbeersaft vermischt mit einem sauren Weißwein wie einem Elbling, das kommt super an.“ Auf Kolbs Hof in Windsfeld im breiten Tal der oberen Altmühl rankt eine 30-jährige Maulbeere das Küchenfenster zu. Hier wachsen Weinreben, Kräuter und natürlich viele weitere Maulbeerbäume. Maulbeer-Reiser-Mitbringsel aus aller Welt, aus dem kosovarischen Peja vom 700 Jahre alten Baum des Heiligen Sava, aus einem Sufi-Heiligtum in Samarkand oder dem Gräflichen Schlosspark im nahen Castell.

„Um Maulbeerbäume ranken sich weltweit viele interessante Sagen und Geschichten“

Herbert Kolb

Baum mit Geschichte(n)

„In Japan und China gibt es Forschungseinrichtungen zur Maulbeere, wir Deutschen wissen damit nichts anzufangen“, hat Herbert Kolb gelernt.
Besuchen kommen ihn neugierige Bulgaren, Albaner, Rumänen, Armenier, Usbeken und Kasachen, und nicht nur die erzählen ihm ihre Geschichten. Hunderte Begebenheiten, Anekdoten und Sagen rund um die Maulbeere hat er aufgeschrieben, dass ihn die Leute schon „Maulbeer-Philosoph“ nennen. Inzwischen sammelt er allerlei rund um die Beere, auch Literatur wie etwa das „Lehrbuch des Seidenbaues für Deutschland“ von 1826. Das zeugt von der einstigen Seidenproduktion hierzulande: Am Laub der weißen Maulbeere laben sich die Seidenraupen, spinnen ihre Kokons und so den Grundstoff für den Luxusartikel Seide. Zweimal reiste Kolb nach Usbekistan, sah sich das Land und die Seidenproduktion an. Freude bereiten ihm Zufallsfunde, wie die Maulbeerhecke am N-ERGIE Umspannwerk in Weißenburg. 25 Bäume wurden 1935 gepflanzt und schirmen das Gelände bis heute zur Straße ab. Weiße Maulbeeren, aber auch eine rote Sorte, mit großen, saftigen Beeren. Da neue Sorten nach dem Standort benannt werden, heißt diese Maulbeere „Morus N-ERGIE“. Kolb weiß: „Die ist ganz was Besonderes, kein Relikt, sondern etwas Lebendes!“ Und vielleicht der Beginn einer wunderbaren Beziehung.

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