Das Deutsche Museum in Nürnberg
Wir schreiben das Jahr 2050, in der Nürnberger Altstadt herrscht fröhliches Gedränge. Es ist Trempelmarkt und die Besucher von Deutschlands größtem Innenstadtflohmarkt suchen ganz anderen Tand als heute. Virtual Reality im Zukunftsmuseum macht’s möglich: Datenbrille aufsetzen, Greifarme anziehen und auf Zeitreise zum Trödelmarkt der Zukunft gehen. Und erst einmal staunen, dass Schwärme von Flugdrohnen den Lieferverkehr der Stadt entlang der Pegnitz abwickeln.
Innovationen und Visionen
Die Zukunft erlebt Meike Schlegel jeden Tag. „Wir sagen nicht, wie die Welt in 50 oder 100 Jahren aussehen wird, denn das wissen wir auch nicht“, erklärt sie. „Wir zeigen, woran gearbeitet wird und welche Konsequenzen das haben könnte.“ Als Kuratorin konzipierte die 30-Jährige den Themenbereich „System Erde“ und hält als wissenschaftliche Mitarbeiterin die Inhalte der Ausstellung aktuell. Zukunft ist immer auch eine persönlich Entscheidung: „Ich hätte nie gedacht, in Süddeutschland zu landen, aber Nürnberg ist sehr lebenswert und ich fühle mich hier sehr wohl“, sagt Schlegel. Aufgewachsen in Oldenburg, studierte sie in Bremen Geowissenschaften und ging 2017 als Volontärin zum Deutschen Museum nach München.
„Dann bekam ich die Chance, das Haus in Nürnberg mitzueröffnen und auch weiter mitzugestalten“, so Schlegel. Also ein Umzug nach Franken, gleich in die Nähe ihres neuen Arbeitsplatzes. Seit September 2021 ist das Zukunftsmuseum geöffnet, malerisch inmitten der Nürnberger Altstadt an der Pegnitz gelegen.
Auf vier Ebenen und 2.900 Quadratmetern gibt es für große und kleine Entdeckerinnen und Entdecker viel zu sehen und auszuprobieren. Die Ausstellung folgt einem klaren Konzept: Entlang der Außenwände zeigen weiße Displays Innovationen und heute schon mögliche Zukunftslösungen. An den Innenwänden finden sich Bilder und Plakate fantastischer Zukunftsvisionen von gestern und heute, auf großen Monitoren laufen Szenen aus Science-Fiction- Filmen. Doch wer inspiriert wen, Literatur und Film die Wissenschaft oder andersherum? Bei der Recherche für
die Ausstellung sah Meike Schlegel viele Filme an und forschte, in welchen Jahrzehnten es welche Ideen gab: „Unsere Analysen zeigen, dass sich die Bereiche gegenseitig befruchten.“ Der Schriftsteller Jules Verne zum Beispiel nahm 1874 bei seiner Beschreibung eines Tiefsee- U-Boots technische Entwicklungen vorweg, der Bau eines solchen Gefährts gelang erst 90 Jahre später.
Neue Technologien, neue Fragen
Ist es Wissenschaft oder Fiktion – Science oder Fiction? Das Zukunftsmuseum ist ein Technikmuseum, stellt sich aber auch den sozialen und ethischen Fragen hinter den modernen Technologien. Die Schau und ihre Exponate bringen einen dazu, immer wieder selbst Stellung zu beziehen: Möchte ich diese Zukunft? Wollen wir wirklich auf Mond und Mars leben? Werden wir mit der Genschere genetische Defekte korrigieren und damit Menschen Leid ersparen oder wollen wir doch am Ende makellose Menschen erschaffen? Wenn wir Bau-, Pflege- und Bombenentschärfungs- Roboter nutzen, würden wir einen Sex- Roboter auch haben wollen? Die Zukunft wird aufregend. Wer das Museum besucht, erlebt eine Wissensreise durch Arbeit und Alltag, Körper und Geist, Stadt und Erde sowie Raum und Zeit. Die großen Zusammenhänge veranschaulicht ein riesiger, schwebender Globus. Acht Hochleistungsbeamer machen anhand von aktuellen Daten das System Erde und die Spuren sichtbar, die unser Leben auf dem Planeten hinterlässt. Solarauto, Flugtaxi oder Hyperloop-Kabine – wie wir uns künftig fortbewegen, bleibt spannend.
Dass zukunftsfähige Mobilitätskonzepte schon in der Gegenwart Fuß gefasst haben, zeigt auch die Ladesäule für E-Autos am Maxplatz in der Nähe des Zukunftsmuseums: Bereits über 1.000 Ladevorgänge in gut vier Monaten kann die Säule vorweisen. Die Energieversorgung könnte mit Wasserstofftechnologie gelingen, mit Gezeitenkraftwerken und Fusionsreaktoren. Oder mit Solar Leafs: Die Fassadenbegrünung mit Algenflüssigkeit beschattet Gebäude und erzeugt gleichzeitig Strom.
In den Themenbereichen locken Mitmach-Stationen zum Ausprobieren und zur Interaktion mit allen Sinnen. So lässt sich der Energieverbrauch einer Google-Suchabfrage auch körperlich erleben: Einfach kräftig an einer Kurbel drehen und die Mail wird gesendet. Zum Bilder verschicken braucht es dann schon etwas mehr Kraft. Erstaunlich, wie künstliche Intelligenz (KI) moderne Kunst erschaffen kann: Die KI scannt den Körper als Basencode, setzt ihn in Muster um und fertig ist das Kunstwerk. Wie das Internet wirkt, lässt sich am eigenen Bild erfahren: Einfach das harmlose Urlaubsfoto der wunderschönen Badebucht in den sozialen Medien posten und zusehen, wie durch viele Nachahmer Umweltzerstörung und Massentourismus entsteht. Nicht alles ist ernst gemeint, zeigt aber mögliche Verknüpfungen, wie die eines Ergometers (oder Fitnessgradmessers) mit einer Dating-App. Ergebnis der mühseligen Hometrainer-Strampelei: Nur wer fit ist, bekommt die volle Auswahl an Dating-Partnerinnen und -Partnern.
Ideen für die Zukunft
Zukunft, das ist die nächste Sekunde und Minute unseres Lebens. In der sich alles ändern kann oder alles bleibt, wie es ist. Durch ihre Arbeit hat sich für Meike Schlegel die mediale Wahrnehmung verändert: „Ich liebe Science- Fiction-Filme, heute sehe ich die aber mit anderen Augen als früher“, seufzt sie. Wie oder wo sieht sie sich selbst in 10, 20 oder 50 Jahren? „Das ist mir zu weit zu denken“,überlegt Meike Schlegel. „Lieber befasse ich mich mit Ideen, die es heute gibt und uns in die Zukunft tragen. Die Zukunft muss man positiv angehen.“