Energiewende: Wie viel Zeit haben wir?

© N-ERGIE, Claus Felix

Von der Flächensicherung bis zur Inbetriebnahme eines Windparks dauert es vier bis sechs Jahre.

Wer die Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern will und sich zu den Zielen einer nachhaltigen Versorgung bekennt, weiß, dass dazu auch der schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien gehört. Die Bundesregierung hat in ihrem Osterpaket 2022 den gesetzlichen Rahmen dafür geschaffen.

Schneller Ausbau – was bedeutet das?

Die Ziele sind ambitioniert: Bei Windanlagen an Land ist ein Zubau von 66.000 Megawatt Leistung in den kommenden sieben Jahren vorgesehen. In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurden allerdings gerade mal 56.000 Megawatt installiert.

Allein die N-ERGIE Netz GmbH hat im vergangenen Jahr so viel Leistung aus erneuerbaren Energien in ihr Stromnetz eingebunden wie niemals zuvor: rund 6.000 Anlagen mit einer Leistung von 300 Megawatt. Bis 2030 heißt es aber noch ordentlich Gas geben: Die Ausbaugeschwindigkeit muss sich mindestens verdoppeln.

Doch Windräder und Solarparks entstehen nicht über Nacht – ganz abgesehen davon, dass der Strom aus Wind und Sonne auch transportiert werden muss. Nur wenn in großem Stil alte Trassen reaktiviert, bestehende Leitungen verstärkt und neue Umspannwerke gebaut werden, kann der grüne Strom auch sinnvoll genutzt werden.

Vier bis sechs Jahre für einen neuen Windpark

Am Beginn eines neuen Windparks steht immer die Flächensicherung im Einvernehmen mit der Gemeinde. Das dauert etwa ein halbes Jahr. Dann prüft die N‑ERGIE Artenschutz und Windertrag. Die Situation vor Ort erfordert weitere Gutachten: Schall, Schatten, Boden – alles muss gegebenenfalls untersucht werden. Wenn diese Punkte geklärt sind, werden alle Unterlagen für die Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG)-Genehmigung eingereicht. Dann kann die N-ERGIE die Anlage bestellen. Bis sie geliefert und errichtet ist, dauert es aktuell noch einmal 14 bis 18 Monate.

Damit liegen normalerweise drei bis fünf Jahre zwischen der Sicherung der Flächen und dem Bau eines Windrads. Da Lieferengpässe und Personalmangel auch Windkraft-Projekte verzögern, dauert es zurzeit eher vier bis sechs Jahre.

Trafos und Solarparks brauchen gut zwei Jahre

Bei Photovoltaik (PV)-Freiflächen sieht es ähnlich aus: Lieferengpässe und überlastete Büros für die Anlagenzertifizierung verzögern die Umsetzung von Projekten. So haben Transformatoren und Stationen aktuell Lieferzeiten von rund zwölf Monaten. Für ein Umspannwerk auf 110-Kilovolt-Ebene dauert die Lieferung sogar 24 bis 30 Monate.

Der Zertifizierungsprozess bleibt eine kaum kalkulierbare Unbekannte für den Termin der Inbetriebnahme. Die N-ERGIE bestellt daher die technischen Komponenten vorab.

Im Normalfall dauert eine Bauleitplanung zwischen zehn und zwölf Monaten. Eine Anlage mit einer Leistung von 10 Megawatt peak steht dann etwa fünf bis sechs Monate später. Aktuell sind es zwölf Monate für die Planung und noch einmal so lange für die Errichtung.

© N-ERGIE, Melissa Draa

Rund zwei Jahre nach dem Start der Bauleitplanung liefert eine PV-Freiflächenanlage grünen Strom.

Knackpunkt Verteilnetzausbau?

Noch länger als der Bau von Solar- und Windparks braucht es für den Ausbau des Stromnetzes. Mehr als sieben Jahre veranschlagen die Netzplaner bis zur Inbetriebnahme einer 110-Kilovolt-Leitung im Verteilnetz. Das ist die Netzebene, die den Strom aus erneuerbaren Energien überwiegend aufnimmt und abtransportiert. Engpässe im Netz und die Abregelung von bestehenden Groß-Anlagen werden wegen dieses zeitlichen Abstands auch in kommenden Jahren die Energiewende begleiten: Der Netzausbau ist immer langsamer als der Anlagenzubau.

Tempo ist nicht alles – Koordination ist mehr!

Nicht allein das Tempo des Ausbaus erweist sich als Hemmschuh der Energiewende. So wurde im vergangenen Jahr laut Bundesnetzagentur das Ausbauziel von 7.000 Megawatt installierter PV-Leistung mehr als erreicht. Vielerorts übersteigt die installierte Leistung der Anlagen den Bedarf und die Transportkapazitäten. Abhilfe kann eine bessere Koordination der Energiewende schaffen: Anlagen dort zu bauen, wo das Netz den grünen Strom auch aufnehmen kann und sie durch Speicher-Technologie ergänzen. So nutzt der Strom allen – auch der Energiewende.

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