Nachhaltig versorgt mit kalter Nahwärme
Kalte Nahwärme – das klingt erstmal ziemlich widersprüchlich – schließlich ist etwas entweder kalt oder warm. Noch wenig bekannt, aber sehr effizient, klimaschonend, gas- und ölunabhängig: Die Rede ist von kalten Nahwärmesystemen, die sich die im Boden gespeicherte Wärme zu Nutze machen. Denn unter der Erde herrscht eine konstante Temperatur von etwa 10 Grad Celsius, gespeichert durch Sonneneinstrahlung, Regenwasser oder Lufttemperatur. Nicht besonders warm also. Die Übertragungstemperaturen sind ebenfalls niedrig: lediglich 8 Grad oder kälter.
Im Gegensatz zu Fernwärmenetzen, die die Abhitze aus Kraftwerken zu den Verbraucher*innen ganzer Städte bringen, versorgen die Leitungen bei Nahwärmesystemen ein begrenztes Gebiet – etwa das neue Quartier RieterBogen im Nürnberger Stadtteil Kornburg.
Regenerative Wärmequellen für Quartiere
Prof. Dr. Volker Stockinger von der Fakultät Maschinenbau und Versorgungstechnik der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm forscht zu kalter Nahwärme und kennt ihre Vorteile: „Kalte Nahwärme ermöglicht die Erschließung von regenerativen Wärmequellen, die bei der Betrachtung von einzelnen Gebäuden technisch und wirtschaftlich nicht erschlossen werden könnten. So ist es möglich, beispielsweise Abwasserwärme zu nutzen, was für einzelne kleinere Gebäude nicht zielführend wäre. Darüber hinaus werden regenerative Wärmequellen für Quartiere möglich, in denen nicht ausreichend Fläche oder Wärmepotenzial zur Verfügung steht.“
In Kornburg versorgt das kalte Nahwärmenetz über einen geothermischen Flächenkollektor, der in einem Acker mit Hilfe eines speziellen Agrothermie-Verfahrens eingepflügt wurde, die nahe liegenden Gebäude. Die Fläche selbst kann weiterhin landwirtschaftlich genutzt werden (mehr dazu hier). „Das kalte Nahwärmenetz ist für sich genommen schon eine Wärmequelle, da sie das Erdreich um die Leitungen thermisch erschließt“, sagt er, „so kann die Wärmequelle für ein kaltes Nahwärmenetz deutlich kleiner und somit wirtschaftlicher ausgelegt werden als viele einzelne Wärmequellen für jedes Gebäude.“
Kalte Nahwärme spart Energie
Verglichen mit einer konventionellen Heizung kann der CO2-Ausstoß mit kalten Nahwärmenetzen um die Hälfte reduziert werden. Außerdem entsteht kein Energieverlust in den Übertragungsleitungen unter der Erde – es wird sogar Energie gewonnen. Die Leitungen müssen nicht isoliert sein.
Volker Stockinger nennt weitere Pluspunkte: Mit einem kalten Nahwärmenetz könne man passiv und somit ohne den zwingenden Einsatz einer Kältemaschine kühlen, was sehr viel Energie einspart. Zudem kann ein kaltes Nahwärmenetz als sogenanntes Prosumer-Netz betrieben werden. Das heißt: Anschlussnehmer mit Kühlbedarf – wie Bürogebäude – speisen ihre Abwärme ins Netz ein. Wohngebäude nutzen die Abwärme zur Warmwasserbereitung.
Stromerzeugung vor Ort
Das System in Kornburg ist mit einer großen Haus- oder Etagenheizung für mehrere Gebäude vergleichbar: Ein Kollektor unter der Erde entzieht dem Boden die gespeicherte Wärme. Das Nahwärmenetz transportiert die Wärme über Verteilleitungen in die Häuser, und jedes einzelne Gebäude hat eine Wärmepumpe, um die Nahwärmetemperatur zum Heizen und Bereiten von Warmwasser zu nutzen. Der Strom für die Wärmepumpen kommt anteilig aus Photovoltaikanlagen auf den Dächern.
Dieses Nahwärmesystem wird insgesamt 100 Häuser und Wohnungen versorgen – die ersten Bewohner*innen nutzen es bereits seit Beginn der Heizperiode 2023/2024. Zum Einsatz kommen in Summe 60 Kleinwärmepumpen für Einzelhäuser sowie drei Wärmepumpen für Mehrfamilienhäuser.
Bauherr des Gebiets und Auftraggeber der kalten Nahwärme ist die WBG Nürnberg Beteiligungs GmbH. Die N-ERGIE setzt das Erdwärme-Projekt als Kooperationspartner um und betreibt es im Anschluss.